"Deutschland ist für China ein wichtiger westlicher Partner, dem zugehört wird"
Maurice Gourdault-Montagne über die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und Herausforderungen im Verhältnis zu China
Herr Gourdault-Montagne, was sind derzeit die kritischen Themen in den EU-chinesischen Beziehungen? Wie hat die Coronavirus-Pandemie die Beziehungen beeinflusst?
China und die EU sind wichtige strategische Partner. Stabilität und Frieden in der Welt hängen auch davon ab, wie sich beide verhalten und miteinander umgehen. Als die weltweit größten Handelspartner ist ihr Beitrag zum Weltwirtschaftswachstum von entscheidender Bedeutung. Schon vor der Covid-19- Pandemie war die Situation angespannt. Die Vereinigten Staaten zogen sich aus multilateralen Ver-pflichtungen zurück, während sich zeitgleich China und die USA einen ernsten Handelskrieg lieferten.
Auch wegen dieser Entwicklungen hat die EU ihre strategische Vision gegenüber China neu definiert. Die Erklärung der EU-Kommission im März 2019, kurz vor dem Staatsbesuch von Präsident Xi Jinping in Frankreich, zu dem auch Bundeskanzlerin Merkel und EU-Kommissionspräsident Juncker eingela-den waren, gemeinsam die Bedeutung des Multilateralismus zu bekräftigen, hat den Europäern die Möglichkeit verschafft, ihre Interessen neu zu formulieren.
Ja, wir sind systemische Rivalen Chinas, wir sind Konkurrenten, aber wir sind auch Partner von China. Die Covid-19 Pandemie hat die weltweiten Spannungen verstärkt, aber die EU hält den Kurs, während die China-Politik der USA während des Präsidentschaftswahlkampfs schärfere Töne anschlägt. Die Themen, die schon vor der Pandemie auf dem Spiel standen, stehen weiter auf der Tagesordnung. Dazu gehören Fragen des Marktzugangs, des Technologietransfers, der Schutz des geistigen Eigentums, strategische Investitionen, der Schutz des Cyberraums, Entwicklungshilfe und Verschuldung.
Zu dieser Liste hinzu kommt die Notwendigkeit, den eigenen Medizinsektor wieder unabhängiger zu machen. Die Pandemie hat uns unsere Abhängigkeit von China bei Medizinprodukten vor Augen ge-führt und klar gemacht, dass solche Industrien auch wieder in Europa angesiedelt werden müssen. In diesem Sinne wäre ein ausgehandeltes Abkommen zum Schutz von Investitionen das beste Instrument und der beste Rahmen für einen Neuanfang in den EU-China Beziehungen.
Welche Erwartungen stellen Sie an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020 in Bezug auf die China-Politik der EU? Halten Sie einen härteren Kurs gegenüber China für wahrscheinlich? Glauben Sie, dass es deutlichere Forderungen nach gleichberechtigter Behandlung und eine stärkere Betonung Werten geben wird?
Diese EU-Ratspräsidentschaft beginnt in einer Zeit, da sich die Mitgliedstaaten aus der Krise heraus-zukämpfen versuchen. Es gibt hohe Erwartungen an die deutschen Führungsfähigkeiten, die sich während der Krise bewiesen haben. Deutschland ist für China ein wichtiger westlicher Partner, dem zugehört wird. Im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten hat Deutschland größere Marktanteile in China, es investiert dort auch mehr.
Die Bundeskanzlerin hatte für 2020 einen EU-China-Gipfel in Leipzig angekündigt, auf dem alle EU-Staats- und Regierungschefs mit Chinas Präsident zusammenkommen sollten. Auch wenn sich das Treffen nun verzögert, ist es doch wichtig, dass es so früh wie möglich stattfindet. Dies wurde am 22. Juni bei dem virtuellen Gipfel von Premierminister Li Keqiang und Präsident Xi Jinping mit Kommissionspräsidentin von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel zu Recht in Erinnerung gerufen. Der EU-China-Gipfel würde die Gelegenheit eröffnen, klare gemeinsame Ziele zu definieren und gegenseitige Verpflichtungen festzulegen.
Sollten wir eine härtere China-Politik fahren? Wir müssen uns immer daran erinnern, dass die EU nicht nur eine Wirtschaftsmacht ist, sondern auch ein politisches Projekt. Die Mitgliedstaaten verbindet ein gemeinsames Wertefundament auf der Grundlage der Menschenrechte, für die unsere Gesellschaften seit Jahrhunderten gekämpft haben. Auf diese Werte müssen wir pochen, wenn sie in Frage gestellt werden, was die neue EU-Führung ja auch macht. Letztlich steht die globale Stabilität auf dem Spiel, ohne die es weder Frieden noch Wohlstand gibt.
Welche Rolle spielt Europa in Zeiten zunehmender Spannung zwischen China und den USA für in Chinas globaler Strategie?
Angesichts der zunehmenden Konfrontation zwischen den USA und China spielt die EU als traditionelle Verbündete der USA eine wichtige Rolle bei der Neudefinition der Kräfteverhältnisse in einer multipolaren Welt. Die EU ist eine Handelsmacht, hat aber auch politische Bedeutung, die in den kommenden Jahren wachsen dürfte. Es wäre verantwortungslos, sich auf eine Art Feldzug gegen China zu begeben.
Seien wir realistisch: China braucht für seine eigene Entwicklung unsere Partnerschaft in vielen Bereichen, seien es Investitionen, Joint Ventures oder neue Technologien – wichtige Faktoren für die aufstrebende chinesische Mittelschicht von Interesse. Wir wiederum brauchen wir den chinesischen Markt für unser eigenes Wachstum. Ja, es gibt auch diese chinesischen „Wolfskrieger“, aber auf unserer Seite werden oft ebenso scharfe Töne angeschlagen. Wenn wir uns schützen müssen, brauchen wir diese Art von Kriegern nicht. Wir sollten die Pandemie, wenn sie eines Tages zu einem Ende gelangt, nutzen, um in den Beziehungen zwischen der EU und China einen neuen Anfang zu machen. Beide Seiten sollten sich auf ein realistisches Verständnis für die Verteidigung und Förderung ihrer eigenen Interessen einigen. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen hier zusammenfinden und koordiniert und vereint zusammenarbeiten.
Maurice Gourdault-Montagne ist ehemaliger Generalsekretär des französischen Außenministeriums, französischer Botschafter a.D. in China und Mitglied des MERICS-Kuratoriums. Die Fragen stellt Kerstin Lohse-Friedrich, Leiterin Kommunikation am MERICS.
Dieses Interview erschien in unserem Newsletter "MERICS China Briefing" vom 2. Juli 2020.