Max J. Zenglein zur Evergrande-Krise
„Eine Rettung von Evergrande durch die Regierung ist nicht zu erwarten“
Der chinesische Immobiliengigant Evergrande ist bedrohlich ins Wanken geraten. Beobachter und Anleger blicken mit Sorge auf den Konzern, der einen Schuldenberg von mehr als 300 Mrd. USD angehäuft hat. Manche befürchten eine Insolvenz, die Schockwellen durch den Immobilien- und Finanzmarkt senden könnte. MERICS China Essentials fragte MERICS Chefökonom Max J. Zenglein nach seiner Einschätzung.
Droht Evergrande tatsächlich die Insolvenz, und könnte diese den Kollaps des Immobilien- und Finanzmarkts zur Folge haben?
Ich rechne nicht mit einer Insolvenz von Evergrande. Ebenso wenig denke ich, dass der chinesische Immobilienmarkt kollabiert oder es in China zu einer Finanzkrise kommt. Die chinesische Regierung will das um jeden Preis vermeiden. Sie wird versuchen, langsam und kontrolliert die Luft aus der Immobilienblase zu lassen. Dieser Prozess wird sich über viele Jahre ziehen. Evergrande selbst droht die Zerschlagung. Möglich wäre auch, dass der Konzern unter staatliche Kontrolle gestellt wird.
Wieso hat die Regierung es so weit kommen lassen?
Die Regierung und Aufsichtsbehörden haben schon länger davor gewarnt, dass sie die Exzesse auf dem chinesischen Immobilienmarkt nicht länger tolerieren würden. Immobilienentwickler wie Evergrande haben massiv Schulden für den Bau neuer Wohnungen aufgenommen. Zugleich haben viele Chinesen mit Immobilien spekuliert und die Preise so in die Höhe getrieben. Xi Jinping mahnt seit Jahren, dass Häuser zum Wohnen und nicht zum Spekulieren gedacht sind. Jetzt hat die Regierung die Finanzierung für Konzerne teurer gemacht und Grundstücksverkäufe eingeschränkt. Beijing greift mit aller Macht durch, um die Entstehung noch größerer Risiken für Chinas Finanzsystem zu verhindern.
Welche Instrumente stehen Beijing zur Bewältigung der Krise zur Verfügung?
Derzeit besteht unmittelbar das Risiko, dass Evergrande einen Teil seiner Verbindlichkeiten nicht erfüllen kann. Bereits jetzt fehlt es an liquiden Mitteln für Zahlungen an Kreditgeber oder zur Fortsetzung von Baumaßnahmen. Evergrande hat versucht, Vermögenswerte zu verkaufen. Aber bis auf wenige Ausnahmen ist das Kaufinteresse gering, da die Anlagen als toxisch betrachtet werden. Peking könnte Staatsunternehmen verpflichten, diese Anlagen oder Vertragsverpflichtungen von Evergrande zu übernehmen, um Zeit zu gewinnen. Die Partei könnte auch den Privatsektor hierzu drängen und im Gegenzug politische Gefälligkeiten in Aussicht stellen bzw. entsprechende Anreize schaffen.
Eine Rettung von Evergrande durch die Regierung ist indes nicht zu erwarten. Stattdessen wird Beijing eine Rangfolge vorlegen, in der Verbindlichkeiten zu erfüllen sind. Höchste Priorität wird sein, die Auswirkungen auf Privathaushalte und Auftragnehmer so gering wie möglich zu halten, um das unmittelbare ökonomische Risiko zu minimieren. Die abrauschenden Börsen werden in- und ausländische Investoren gleichermaßen in Mitleidenschaft ziehen. Aber das interessiert die Regierung wenig, solange sie katastrophale Auswirkungen einer Evergrande-Pleite auf die Finanzmärkte verhindern kann.
Welche Folgen könnte die Krise von Evergrande für internationale Gläubiger haben?
Ausländische Anleihebesitzer stehen sicher ganz unten auf Beijings Prioritätenliste: Sie müssen mit Zahlungsausfällen rechnen. Evergrande hat bei internationalen Anlegern insgesamt mehr als 20 Milliarden Dollar geliehen. Einige von ihnen werden wohl viel Geld verlieren. Eine globale Schockwelle halte ich nicht für wahrscheinlich. Der Fall zeigt jedoch, welche Risiken im chinesischen Finanzsystem schlummern. Ausländische Investoren haben neuerdings immer mehr Möglichkeiten, direkt auf dem chinesischen Markt tätig zu werden.
Wie wird sich Chinas Immobilienmarkt nach der Evergrande-Krise entwickeln?
Die größte Herausforderung wird sein, einen Einbruch der Immobilienpreise zu vermeiden. Chinas Wirtschaftswachstum hängt immer weniger vom Immobilienmarkt ab, da viele private Investoren ihre Portfolios diversifizieren. Ich erwarte eine strengere Regulierung, die den Immobilienbereich grundlegend verändern wird. Die bisherige Regelung, dass künftige Hausbesitzer vorab die gesamte Immobilie bezahlen, wird abgeschafft oder zumindest stark abgeändert werden. Vorstellbar ist auch eine von der Regierung gedeckte Schutzklausel für Immobilienkäufer, eventuell sogar eine Auflage für Immobilienfirmen, zum gesellschaftlichen Wohlstand beizutragen, indem sie erschwingliche Wohnungen bauen.
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