Reinhard Bütikofer: „Wir lernen, uns nicht von einer Win-win-Rhetorik einlullen zu lassen“
Herr Bütikofer, Deutschland war und ist es wichtig, das Verhältnis zwischen China und Europa während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in eine neue Richtung zu lenken. Nun findet statt des geplanten EU-China-Gipfels in Leipzig am 14. September nur eine Videokonferenz statt. Was erwarten Sie sich von dem virtuellen Austausch?
Die deutsche Bundesregierung wollte lenken und stellt nun fest, dass sie teilweise den Entwicklungen hinterherläuft. Die Art von Leisetreterei, die in Berlin bisher recht beliebt war, passt nicht mehr in die Landschaft. Ich freue mich, dass der deutsche Außenminister neue Töne findet, dass er etwa beim Besuch von Wang Yi solidarisch gegen dessen Tschechien-Schelte Stellung bezog. (…) Die Frage bleibt, ob Beijing unsere Sprache auch versteht, solange man dort den Eindruck bekommt, mehr als kritische Worte habe man nicht zu gewärtigen. Wenn die deutsche Ratspräsidentschaft etwa den EU-Sanktionsmechanismus gegen Menschenrechtsverletzungen zu Ende verhandeln könnte, das zeigte Entschlossenheit. Für die Video-Konferenz mit Xi Jinping am kommenden Montag steht vor allem das Investitionsabkommen auf der Agenda. Frau von der Leyen und Herr Michel müssen darauf achten, dass die EU da klar bei ihren Forderungen bleibt. Sie dürfen sich nicht von der Kanzlerin zu einer Abschwächung unserer Position drängen lassen. Daran messe ich einen Erfolg.
Wie betrachten Sie die Verhandlungen über das europäisch-chinesische Investitionsabkommen? Worauf sollte die europäische Seite unbedingt bestehen?
Ich sehe den Verhandlungsstand kritisch. Unsere Vorstellungen konzentrieren sich auf einen besseren Marktzugang einschließlich der Telekommunikation, auf faire Wettbewerbsbedingungen gegenüber Chinas Staatsunternehmen und auf ein starkes Nachhaltigkeitskapitel. An keiner der drei Fronten gab es bisher einen Durchbruch. Die Durchsetzbarkeit von Vereinbarungen ist jedoch die eigentliche Crux. Wir dürfen uns deshalb nicht mit bloß papierenen Zugeständnissen zufriedengeben.
Der Europabesuch des chinesischen Außenministers Wang Yi war vermutlich als Charmeoffensive geplant, geriet jedoch zu einer schwierigen Mission. Rechnen Sie damit, dass die zunehmend kritischere und distanziertere Haltung europäischer Staaten gegenüber China in absehbarer Zukunft in eine einheitliche China-Politik der EU münden könnte?
Ich weiß gar nicht, ob Wang Yi wirklich eine Charmeoffensive beabsichtigte. Mir machte sein Besuch eher den Eindruck, als solle er die verschiedenen Hauptstädte lehren, dass chinesisches Poltern, Drängen und Drohen zum Normalfall wird: „Bullying as the new normal.“ Dagegen sind wir Europäer längst nicht geschlossen genug. Wobei es auch in Zukunft keine völlig homogene europäische Chinapolitik geben wird, weil nationale Interessenunterschiede sich eben nicht in Luft auflösen. Aber gegen chinesisches Dumping oder gegen unfaire Subventionen, bei der Forderung von Reziprozität bei öffentlichen Ausschreibungen und der Sorge um öffentliche Sicherheit bei sensiblen Investitionen zieht die EU heute viel mehr an einem Strang als noch vor wenigen Jahren. Wir lernen, was es heißt, sich nicht von Win-win-Rhetorik einlullen zu lassen, sondern die Kooperation, die wir durchaus wollen, daran zu messen, dass sie uns in unserer systemischen Rivalität mit der Volksrepublik nicht schwächt. In manchen Bereichen gibt es immer noch zu viel Wunschdenken auf unserer Seite. Beispiel Klimaschutzpolitik. Ich höre oft, China sei doch in dem Bereich ein unverzichtbarer Partner. Unverzichtbar stimmt ja, aber Partner eben nicht. In Beijing geht die Klimapolitik gerade im Krebsgang. Wir kommen nur mit Klartext voran.
Braucht die EU eine neue China-Politik? Und wenn ja, was kann Deutschland tun, um eine einhellige europäische China-Politik zu befördern?
Die EU hat im Frühjahr letzten Jahres eine richtige Positionsbestimmung gegenüber der Volksrepublik vorgenommen. Die muss man nicht neu erfinden. Aber mit der Umsetzung hapert es noch, die ist zersplittert. Deutschland könnte als das Land mit den intensivsten Chinabeziehungen da eine besonders hilfreiche Rolle spielen, wenn unsere Regierung mehr auf die europäische Einbindung deutscher Chinapolitik achten würde. Um es mal hart zu sagen: So lange man sich immer sorgen muss, wie sehr das Kanzleramt deutsche und europäische Interessen mit denen der deutschen Automobilindustrie gleichsetzt, - die sich zu sehr vom chinesischen Markt abhängig gemacht hat, - so lange bleibt europäische Einheit gegenüber China prekär. In den USA hieß es früher mal, was gut für General Motors sei, sei gut für die USA. Das stimmte so nie. Heute wäre es besonders altmodisch. Aber Wolfsburg würde immer noch gerne nach solcher Melodie den Takt vorgeben.
Halten Sie es für wünschenswert, dass der für September geplante EU-China-Gipfel noch in diesem Jahr nachgeholt wird?
Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass das geschieht. Warum sollten wir partout einen Gipfel anstreben, wenn die gemeinsame Substanz fehlt? Erst Eier legen, dann gackern, nicht umgekehrt.
Dieses Interview erschien in unserem Newsletter "MERICS China Briefing" vom 10. September 2020.