19. Parteitag der KP Chinas
Treffen im Herbst wird sorgfältig choreographiert
2017 ist nicht nur in Europa ein politisch wichtiges Jahr, mit entscheidenden Wahlen unter anderem in Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Auch in China sind politische Weichenstellungen zu erwarten, die bis zum Jahr 2022 und womöglich darüber hinaus bedeutsam sind: Im Spätherbst – das genaue Datum steht noch nicht fest – kommt die Kommunistische Partei Chinas (KPC) zu ihrem 19. Parteitag zusammen. 2.300 Delegierte werden die strategischen Ziele der Partei für die kommenden fünf Jahre debattieren und verabschieden. Der Höhepunkt der Veranstaltung ist die Wahl des neuen Zentralkomitees. Dieses wird einen Tag nach dem Ende des Parteitages die oberste Führungsriege ernennen und sie mit der Umsetzung der Ziele betrauen.
Dieses Mapping zeigt die wichtigen Stationen bis zum Parteitag, der voraussichtlich im Oktober oder November stattfinden wird. Den angegebenen Zeiträumen liegt die Annahme zugrunde, dass es im Vergleich zum Ablauf früherer Parteitage keine grundlegenden Abweichungen geben wird. Genaue Daten werden üblicherweise erst kurzfristig bekannt gegeben.
Der Parteitag ist laut Statut der KPC deren höchstes Entscheidungsorgan. Parteitage sind streng choreographierte Großveranstaltungen, bei denen nichts dem Zufall überlassen wird. Es gilt, die Parteimitglieder auf ein politisches Leitprogramm einzuschwören. Gleichzeitig dienen die Parteitage als Bühne, um den chinesischen Bürgern Stärke und Einigkeit der KPC zu demonstrieren. Bis zum Abschluss des Parteitags werden geplante programmatische oder personelle Änderungen sorgsam unter Verschluss gehalten. Erst danach wird in der Regel das politische Programm für die nächsten fünf Jahre in parteistaatlichen Medien öffentlich gemacht.
Mit besonderer Spannung wird die Ernennung der Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros erwartet: Dessen personelle Besetzung könnte erste Rückschlüsse darauf erlauben, wer im Jahr 2022 an der Spitze der KPC stehen wird. Wenn die von Deng Xiaoping etablierten, regelbasierten Prozesse der Führungsnachfolge erhalten bleiben, ist damit zu rechnen, dass zumindest ein neues Mitglied in den innersten Kreis der Parteiführung aufgenommen wird, das der nächsten sogenannten Führungsgeneration angehört. Im Anschluss an den 17. Parteitag im Jahr 2007 zum Beispiel waren Xi Jinping und Li Keqiang in den Ständigen Ausschuss des Politbüros aufgestiegen.
Der Politische Bericht – Mehr als nur Rhetorik
Der sogenannte Politische Bericht fasst das politische Programm der KPC für den Fünfjahreszeitraum von 2017 bis 2022 zusammen. KPC-Generalsekretär Xi Jinping präsentiert ihn zu Beginn des Parteitages in seiner Rede. Der Bericht nennt nicht nur die politischen Ziele der KPC, er liefert auch Anhaltspunkte zu möglicherweise anstehenden Kurswechseln. Die Analyse ist nicht einfach, der Bericht enthält in der Regel ausschweifende ideologische Betrachtungen über Marxismus und Leninismus. Wichtige Anmerkungen zu aktuellen Strategien werden leicht übersehen.
Dass der Politische Bericht Einblicke in anstehende politische Weichenstellungen gestattet, zeigte sich zum Beispiel 2002: Damals sprach Jiang Zemin vor dem Parteitag von der Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik sowie der gezielten Aufwertung ländlicher Gebiete. Seine Ankündigungen bildeten später die Grundlage für das Konzept der „Harmonischen Gesellschaft“ und die Kampagne „Aufbau eines neuen sozialistischen ländlichen Raumes“ – beides prägende Elemente der Politik des späteren Partei- und Staatschefs Hu Jintao und des Ministerpräsidenten Wen Jiabao.
Der Politische Bericht des scheidenden Generalsekretärs Hu Jintao von 2012 definierte den Kampf gegen Korruption als überlebenswichtig für die Partei und gab damit den Anstoß für die von Xi bis heute mit Macht betriebene Anti-Korruptionskampagne. Es ist zu erwarten, dass der auf dem 19. Parteitag erwartete Politische Bericht die Prioritäten der obersten Führungsriege für die kommenden fünf Jahre vorzeichnet. Der Politische Bericht ist mehr als eine Rede des Generalsekretärs der KPC, er ist das Resultat eines Konsenses der Parteielite. Der Bericht wird in einem kollektiven Prozess erfasst, der sich nahezu über ein Jahr erstreckt und an dem Tausende von Kadern auf verschiedenen Regierungsebenen teilhaben: Darin sind Vertreter von Partei- und Regierungsorganen ebenso involviert wie Parteimitglieder in zivilen und militärischen Positionen. Der Gruppe, die den finalen Text verfasst, steht Xi Jinping persönlich vor.
Der Politische Bericht evaluiert die Arbeit des scheidenden Zentralkomitees – und damit in diesem Jahr auch die erste Amtszeit Xis. Deshalb ist damit zu rechnen, dass die Anti-Korruptionskampagne, die Entwicklungen beim Umbau des Wirtschaftsmodells und der Bekämpfung der Armut sowie die außenpolitischen Initiativen unter Xi prominent erwähnt werden.
Die Wahl der Parteiführung – Wie Kandidaten für höchste Ämter rekrutiert werden
Die Delegierten des Parteitags werden das 19. Zentralkomitee wählen. Bereits im Vorlauf des Parteitags, insbesondere seit März 2016, gab es weitreichende Personalwechsel in Spitzenpositionen. Auf Provinzebene zum Beispiel wurde mehr als ein Drittel der Parteisekretäre binnen eines Jahres ausgewechselt.
Details zum Auswahlprozess der Kandidaten für das Politbüro unterliegen strengster Geheimhaltung. Es gibt keine öffentliche Diskussion oder gar Präsentation von aussichtsreichen Kandidaten. Seit den vergangenen beiden Parteitagen hat sich nach Erkenntnissen von China-Wissenschaftlern das folgende Verfahren etabliert: Monate vor dem Parteitag bereiten die Zentrale Organisationsabteilung und das ZK-Sekretariat unter Aufsicht des KPC-Generalsekretärs eine Liste mit den vielversprechendsten Anwärtern vor. Diese müssen drei Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen (stellvertretende) Mitglieder des Zentralkomitees sein, dürfen zum Zeitpunkt des Parteitags noch nicht das 68. Lebensjahr erreicht haben und müssen eine Erfolgsbilanz im Umgang mit politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen vorweisen. Ideologische und politische Loyalität sowie ein skandalfreier Karriereweg werden unter Xi zudem mehr denn je für die Bekleidung von Parteiämtern vorausgesetzt. Eine Liste von Anwärtern, die diese Bedingungen erfüllen, wird einer Versammlung amtierender und ehemaliger Führungspersönlichkeiten vorgestellt.
Für 2007 ist ein solches Treffen unter der Leitung Hu Jintaos in parteistaatlichen Medienberichten belegt. An dem Treffen nahmen 400 aktive und ehemalige Führungskader teil. Die Versammlung trifft eine Vorauswahl. Diese wird auf der alljährlichen Klausur der KPC im Badeort Beidaihe verfeinert, auf der amtierende und pensionierte Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros über programmatische und personelle Grundsatzentscheidungen beraten. Erst wenige Wochen vor dem Parteitag finalisiert dann das scheidende Politbüro die Kandidatenliste, die dem frisch gewählten Zentralkomitee vorgelegt wird.
Wie das künftige Personaltableau der chinesischen Führungsspitze aussehen wird, ist derzeit noch ungewiss. Ziemlich sicher ist, dass Xi Jinping und Li Keqiang für weitere fünf Jahre einen Sitz im Ständigen Ausschuss des Politbüros innehaben werden. Wenn die Altersbegrenzung weiter gilt und die Zahl der Sitze im Politbüro und im Ständigen Ausschuss des Politbüros gleichbleibt, dann müssten fünf von sieben Sitzen des einflussreichen Ständigen Ausschusses sowie 11 von 25 Sitzen des gesamten Politbüros neu vergeben werden. Sollten zwei nach 1960 geborene Kader in den Ständigen Ausschuss aufsteigen, haben diese die besten Chancen, Xi und Li 2022 an der Spitze von Partei und Staatsrat abzulösen. Ist dies nicht der Fall, dürften Spekulationen weitere Nahrung finden, denen zufolge Xi die Partei auch nach 2022 weiter führen könnte. Das wäre ein Bruch der seit Beginn der 90er Jahre etablierten Praxis, die Amtszeit in Spitzenämtern auf zehn Jahre zu begrenzen.