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MERICS Briefs
MERICS China Essentials
10 Minuten Lesedauer

Lockerungen im Tech-Sektor + Covid-Politik + Außenpolitische Charmeoffensive

TOP THEMA

Trotz Lockerungen für Tech-Branche bleibt der Staat am Hebel

Die seit mehr als einem Jahr anhaltende Überprüfungs- und Regulierungswelle im Technologie-Sektor dürfte bald Geschichte sein. Während Strafmaßnahmen gelockert werden, sichert sich die chinesische Regierung dauerhafte Kontrolle über Internetunternehmen. Dem Parteistaat ist es offenbar gelungen, die Schwergewichte der chinesischen Tech-Branche, wie Alibaba und Tencent, ideologisch auf Linie zu bringen und sie einem neuen regulatorischen Rahmenwerk sowie nationalen Zielen zu verpflichten. 

Ein ranghoher Vertreter der chinesischen Zentralbank sagte am 9. Januar, die Überprüfung von 14 Finanzplattformen der Internetgiganten werde demnächst abgeschlossen. Chinas oberste Cyberaufsichtsbehörde CAC hat sich bislang zwar nicht öffentlich zu einem möglichen Ende der Regulierungswelle geäußert. Am Montag folgte jedoch ein weiteres vielsagendes Signal: Der Fahrdienstvermittler Didi Global gab bekannt, dass er nun wieder Neukunden aufnehmen dürfe. Wegen einer Cybersicherheitsüberprüfung musste das Unternehmen die Registrierung neuer Nutzer 18 Monate lang aussetzen. 

Internetunternehmen wieder im Geschäft – unter Bedingungen

Didi Global betonte, im Einklang mit staatlichen Vorgaben umfassende Korrekturen vorzunehmen. Das Unternehmen sagte zu, die nationale Cybersicherheit nicht zu gefährden. Die Kommunistische Partei Chinas (KPC) dürfte im Gegenzug für die Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeiten auf die Loyalität Didis zählen können. In einem weiteren öffentlichkeitswirksamen Schritt gab Alibaba-Gründer Jack Ma die Kontrolle über das Fintech-Unternehmen Ant Group ab. Der chinesische Staat hat einen Anteil von einem Prozent an einer Alibaba-Tochtergesellschaft übernommen und sich damit einen Sitz im Vorstand und einige Privilegien bei der Überprüfung von Inhalten gesichert. Auch Alibaba scheint seinen Frieden mit Beijing gemacht zu haben.

Die Regulierungswelle hat dem Geschäft und den Aktienkursen chinesischer Internetfirmen massiv geschadet. Die Lockerungen könnten die Unternehmen nun ermutigen, ihre Geschäftstätigkeit wieder auszubauen – in einer Zeit, in der die chinesische Regierung den Informationstechnologien und der Modernisierung der Industrie als Wachstumstreiber Priorität einräumt. Chinas Tech-Sektor steht nun aber vor völlig veränderten Vorzeichen. Der Staat hat die Kontrolle über die Unternehmen ausgebaut. Alibaba und Tencent sollen beispielsweise ein Konsortium für die Entwicklung von RISC-V-Chips gründen, eine Technologie, an der die chinesische Regierung großes Interesse hat. 

MERICS-Analyse: „Chinas Internetfirmen können aufatmen, sie stehen aber nach wie vor unter der Aufsicht der Behörden,” sagt MERICS-Expertin Antonia Hmaidi. „Die Unternehmen sollen im Sinne des nationalen Interesses handeln, zu einem ‚qualitativ hochwertigen‘ Wachstum beitragen und nicht zuletzt die Überzeugungskraft offizieller Narrative untermauern. Westliche Regierungen stehen im Umgang mit chinesischen IT-Plattformen nun vor neuen Herausforderungen, da diese vom Parteistaat abhängig sind.”

Medienberichte und Quellen:

Metrix

15,2%

Um diesen Prozentsatz hat durchschnittlich die Zahl chinesischer Wasserstoff-Patente zwischen 2011 und 2020 zugenommen. Während die EU einen Anteil von 28 Prozent und die USA 20 Prozent aller Wasserstoff-Patente halten, liegt der Anteil Chinas bei nur 4 Prozent. Das geht aus der Studie des Europäischen Patentamts und der Internationalen Energiebehörde hervor. Allerdings nimmt die Zahl der EU-Patente jährlich um nur 6,2 Prozent zu, was die Wachstumsrate angeht, liegt China ganz weit vorne. (Quelle: IEA)

MERICS Videos zum Thema::

THEMEN

Erstes "normales" chinesisches Neujahr seit Jahren – doch schwierige Zeiten für die Regierung Xi

Die Fakten: China feiert am 22. Januar das Neujahrsfest, das erste Frühlingsfest ohne Reisebeschränkungen seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie. Das chinesische Verkehrsministerium rechnet mit mehr als zwei Milliarden Reisebewegungen, wenn die Familien über die Feiertage zusammenkommen. Das wären doppelt so viele wie im letzten Jahr, aber immer noch nur 70 Prozent des Niveaus vor Ausbruch der Covid-Pandemie. Allein für den Dezember meldete Beijing kürzlich 60.000 Covid-Tote – eine wahrscheinlich konservative Zahl. Doch sogar diese zeigt, dass die Pandemie nicht vorbei ist. Die größten Städte dürften den Höhepunkt der aktuellen Covid-19-Welle bereits hinter sich haben. Doch die ländlichen Gebiete sind mit vielen Krankenhaus-Einweisungen konfrontiert, da die Zahl der Infektionen weiter zunimmt.  

Der Blick nach vorn: Beijings überraschende Abkehr von „Null-Covid“ hat das Vertrauen in die Regierung beschädigt und die Öffentlichkeit gespalten. Das Neujahrsfest wird nur eine kurze Verschnaufpause bieten, selbst wenn die Infektionen nicht weiter in die Höhe schnellen. Sozialpolitische Reformen hat Beijing im vergangenen Jahr vertagen müssen, die Kommunalverwaltungen leerten ihre Kassen für die Corona-Eindämmung. Das Krankenhauspersonal ist bis zur Erschöpfung ausgelastet. Ein plötzlicher Anstieg von Long-Covid-Fällen könnte die Arbeitswelt noch lange belasten. Hinzu kommt, dass Chinas Bevölkerung 2021 offiziellen Angaben zufolge erstmals seit 60 Jahren geschrumpft ist, was das Potenzial für künftiges Wirtschaftswachstum verringert.

MERICS Analyse: „Nach einem schwierigen Jahr 2022 scheint von vielen ehrgeizigen Plänen Xi Jinpings nur wenig übrig", sagt MERICS-Analyst Vincent Brussee. „Angesichts knapper Kassen steht Xi Anfang 2023 vor schwierigen Entscheidungen über die Erhöhung des Rentenalters und die Umverteilung des Wohlstands. Der Nationale Volkskongress im März und das Dritte Plenum des Zentralkomitees der KPC im Herbst bieten Gelegenheiten, harte Entscheidungen zu treffen."

Medienberichte und Quellen:

Sanfterer Ton in Chinas Diplomatie ändert nichts an außenpolitischem Kurs

Die Fakten: In den vergangenen Wochen gab es einige Anzeichen für Änderungen im Tonfall der chinesischen Diplomatie. Da war einerseits die Charmeoffensive von Staatschef Xi Jinping auf den G20- und APEC-Gipfeln im November. Zu Beginn des neuen Jahres wurden nun auch einige Personalien bekannt, die auf eine Aufweichung der konfrontativen Rhetorik einiger chinesischer Diplomaten und Außenpolitiker hindeuten. Beijing will womöglich die Beziehungen mit westlichen Ländern nach dem Ende der fast drei Jahre andauernden Isolation des Landes seit Beginn der Pandemie stabilisieren. 

Der Blick nach vorn: Die Ernennung von Qin Gang zum Außenminister, der Wechsel des Außenamtssprechers und „Wolfskriegers” Zhao Lijian auf einen weniger öffentlichkeitswirksamen Posten im Ministerium sowie die Entsendung von Fu Cong als EU-Botschafter sind jedoch nicht Ausdruck eines grundlegenden Kurswechsels. An Beijings Interessen, globalen Ambitionen und an den auf dem 20. Parteitag der KPC verkündeten außenpolitischen Prioritäten hat sich bislang nichts geändert. Gegen eine Neuausrichtung spricht auch die Beförderung von Ex-Außenminister Wang Yi zum Direktor der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten, dem für außenpolitische Entscheidungen zuständigen und von Xi persönlich geleiteten Parteiorgan. Xi und Wang haben Chinas „Wolfskrieger-Diplomatie“ stark vorangetrieben – und die wichtigsten außenpolitischen Entscheidungen werden ohnehin nicht im Ministerium getroffen.

MERICS-Analyse: „Grundlegende Änderungen in der chinesischen Außenpolitik sind unwahrscheinlich, auch wenn sie nicht ganz ausgeschlossen werden können nach der abrupten Abkehr von der Null-Covid-Politik,“ sagt MERICS-Expertin Helena Legarda. „Die innenpolitische Stabilität hat für Beijing oberste Priorität. Wenn es sich auf dem diplomatischen Parkett nun weniger kämpferisch gibt, könnte dies dazu dienen, andere Länder und Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht zu verschrecken.”

Medienberichte und Quellen:

Chinas Exporte brechen Ende 2022 nach Monaten hoher Wachstumsraten ein

Die Fakten: Chinas Exporte sind im vergangenen Dezember um 9,9 Prozent weniger gewachsen als im Vorjahresmonat. Nach Jahren des steilen Wachstums setzt sich damit der Trend zur Abschwächung fort. Chinas Ausfuhren in die EU gingen im Vergleich zum Vorjahr um 17,5 Prozent zurück, Exporte in die USA um 19,5 Prozent. Die Rezessionsängste in diesen Regionen schlugen sich in geringer Nachfrage nieder. Trotz des Einbruchs zum Jahresende verzeichnete China im vergangenen Jahr insgesamt einen Rekordwert bei Exporten. Der Handelsbilanz-Überschuss belief sich auf 877,6 Milliarden USD. Zurückzuführen ist dies auf einen Anstieg der Exporte in die EU um 8,3 Prozent und in die USA um 0,9 Prozent. 

Der Blick nach vorn: Die starke Nachfrage in den USA und der EU trieb nicht nur die Inflation in diesen Regionen in die Höhe, sie trug auch maßgeblich zu Chinas außergewöhnlichem Exportwachstum im vergangenen Jahr bei. Die Nachfrage im Ausland konnte aufgrund der schwachen Nachfrage im Inland – bedingt durch die Null-Covid-Politik – leicht bedient werden. In Zukunft dürften Exporte nicht länger als Stütze für Chinas Wirtschaftswachstum fungieren. Der Aufwärtstrend während der Pandemie könnte abebben, weil die Nachfrage in den USA und der EU zurückgeht und die Menschen in China nach dem Ende der strengen Covid-Politik wieder mehr konsumieren. Ob der Binnenkonsum die niedrigeren Exporte rasch genug ausgleichen können wird, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. 

MERICS-Analyse: „Die Marktdynamik während der Pandemie hat sich auch 2022 als wirksamer erwiesen als erwartet,” sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. „Beijing wollte ein stärker konsumgetriebenes Wachstum, war am Ende aber auf Exporte angewiesen. Washington und Brüssel wollten unabhängiger von chinesischen Herstellern werden, die Konsumenten jedoch haben chinesische Produkte gekauft.”

Medienberichte und Quellen:

Rezension

Empires of Ideas: Creating the Modern University from Germany to America to China, von William C. Kirby

Globale Hochschulrankings zeigen den Aufstieg chinesischer Universitäten und Hochschulen. Das gilt vor allem für die Ingenieurswissenschaften. Laut der jüngsten Erhebung des U.S. News and World Report ist die Tsinghua-Universität in diesem Fachbereich die weltweit beste Universität und eine von sechs chinesischen Hochschulen, die es in die globalen Top 10 der Ingenieurswissenschaften geschafft haben. 

Der Aufstieg der chinesischen Universitäten ist der Fokus von William Kirbys historischem Überblick. Er zeichnet die Wurzeln der modernen Forschungsuniversität in Deutschland nach, beschreibt, wie die Vereinigten Staaten das Zepter übernahmen und zum weltweit führenden Forschungsland wurden. Er sagt voraus, dass chinesische Universitäten auf dem Weg sein könnten, die USA in den Schatten zu stellen. 

Hochschulrankings sind ein wiederkehrendes Thema in Kirbys Buch. Dass China vor allem in Ingenieurs- aber nicht in Geistes- oder Sozialwissenschaften reüssiert, ist nach seiner Analyse kein Zufall. Die Tsinghua-Universität beispielsweise blicke in letztgenannten Disziplinen zwar auf eine respektable Tradition zurück, wurde aber durch politische Kräfte davon abgehalten, den „ganzen Menschen auszubilden“. Im vergangenen Jahrzehnt habe die chinesische Regierung – mit Hilfe ihres wichtigsten Organs zur Korruptionsbekämpfung, der Zentralen Kommission für Disziplinaraufsicht – die politische Kontrolle über die Geisteswissenschaften deutlich erhöht und die freie Lehre beschnitten.

Dies wirft Fragen über den Nutzen traditioneller Hochschulrankings auf. Der in Berlin ansässige Thinktank Global Public Policy Institute hat den Akademischen Freiheitsindex (AFI) entwickelt, um akademische Freiheit in den Rankings zu berücksichtigen. Auf Basis der AFI-Kriterien würden chinesische Universitäten nicht so gut abschneiden. Die Peking-Universität zum Beispiel hatte im QS-Ranking 2021 einen Wert von 83,5 – der AFI stuft sie auf 68,2 herab, was sie von einem weltweiten Rang 23 zurückfallen lässt auf einen Rang zwischen 60 und 70. Kirbys Analyse ist wichtig für alle, die über chinesische Hochschulen forschen oder Partnerschaften mit ihnen unterhalten.

Rezension von Michael Laha

MERICS China Digest

Chinas Außenminister Qin Gang besucht fünf afrikanische Staaten (South China Morning Post)

Chinas neuer Außenminister Qin Gang besuchte Äthiopien, Angola, Gabun, Benin und Ägypten. Afrika ist von zentraler Bedeutung für Chinas diplomatische und strategische Ambitionen. In Gesprächen mit dem Vorsitzenden der Kommission der Afrikanischen Union kündigte Qin vertieften Austausch an. (16.01.2023)

Davos 2023: China wirbt um ausländische Investitionen (Reuters) 

In seiner Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos erklärte Chinas Vize-Ministerpräsident Liu He, sein Land heiße ausländische Investitionen willkommen und habe seine Türen nach drei Jahren der Isolation wieder geöffnet. Beijing hofft offenbar bei der Belebung der schwächelnden Wirtschaft auf ausländische Investoren. (17.01.2023)

Chinas digitaler Yuan wird bislang kaum genutzt (eastisread.com)

China ist weltweit führend beim Experimentieren mit einer offiziellen digitalen Währung. Laut einem Professor der Tsinghua-Universität und früheren Zentralbankvertreter wird die Währung bislang jedoch kaum genutzt und ist zahlreichen strukturellen Problemen ausgesetzt. (06.01.2023)

Offizieller Artikel bezeichnet Beijings Umgang mit der Pandemie als überlegen (China Media Project)

Beijing wird für seinen Umgang mit der Covid-Pandemie viel kritisiert. Doch ein Kommentar in der parteistaatlichen Zeitung „People’s Daily“ lobt den Umgang der chinesischen Führung mit der Pandemie als Beweis für globale Führungsstärke. (09.01.2023)