„China ist kein Land – China ist ein Kontinent“
Seine berufliche Heimat ist seit Jahrzehnten Beijing, letzte Woche war er in Washington, heute in Berlin. Kein Wunder, dass China-Lounge Moderatorin Kerstin-Lohse Friedrich Jörg Wuttke als „Mann, der niemals schläft“ bezeichnet. Der Chef von BASF-China scheint tatsächlich immer unter Strom zu stehen – online wie offline.
Bei der Abendveranstaltung spricht Wuttke über seine Arbeit in China, Chancen und Hindernisse für Unternehmen aus Europa und seine anstehende Kandidatur für die Präsidentschaft der Europäischen Handelskammer in Beijing. Es wäre seine dritte Amtszeit. Bereits von 2007 bis 2010 und zuletzt von 2014 bis 2017 bekleidete er das Amt. Mit Xi Jinping will er sich trotzdem nicht vergleichen – der chinesische Präsident ließ 2018 die Verfassung ändern und verschaffte sich so die Möglichkeit einer dritten Amtszeit. „Ich bin eher der Deng Xiaoping der Handelskammer – ich komme zwei Mal wieder zurück“, sagt Wuttke mit einem Augenzwinkern. Und er kommt hochdekoriert: Vor einigen Wochen wurde er von der US-Handelskammer mit der inoffiziellen Lei Feng Medaille ausgezeichnet, als Pionier des Lobbyismus, für seinen „unermüdlichen Kampf für besseren Marktzugang in China“. Bereits Anfang des Jahres war ihm das Bundesverdienstkreuz in der Deutschen Botschaft in Beijing verliehen worden.
Es ist ein launiger Dienstagabend. Knapp 150 Besucher sind da, viele davon kennen Jörg Wuttke. Und er kennt sie: „Ich muss mich jetzt erstmal durch die Menge knutschen“, lacht er am Eingang. Nach dem freundschaftlichen Begrüßungsmarathon schlägt er auf der Bühne im Gespräch mit MERICS-Direktor Frank Pieke und Kommunikationschefin Kerstin Lohse-Friedrich aber auch ernstere Töne an. Beispielsweise als es um die Schließung von Fabriken in Chinas Industrieprovinz Jiangsu geht. Die chinesische Regierung beschloss nach schweren Unglücken und anhaltender Umweltverschmutzung in der Region, das Ende für tausende Standorte. „Eine Kurzschlussreaktion“, stellt Wuttke fest. „Die Schließungen haben massive Folgen für die Landwirtschaft und die Pharmaindustrie auf der ganzen Welt“. Chinesische Unternehmen seien wegen der Stilllegungen zunehmend auf Produkte aus Deutschland angewiesen oder könnten Zulieferungen an deutsche Firmen nicht mehr nachkommen. Wuttke geht sogar davon aus, dass Arzneimittel hier schon bald knapp werden könnten. „Auch Fleischprodukte könnten in Deutschland fehlen“, sagt der Lobbyist und spielt auf die afrikanische Schweinepest an, die die Angst vor heimischen Produkten in China steigen ließ.
Wuttke will damit aufzeigen, dass die Regionen sich gegenseitig beeinflussen: China „den Westen“ und andersherum. Besonders deutlich wird das am Beispiel des anhaltenden Handelskrieges mit den USA. Der beschäftigt Publikum und Gast an diesem Abend gleichermaßen. Auf die Frage, ob der Streit positive Effekte für die EU haben könnte, antwortet Wuttke zwiegespalten: „Die Maschinenbauindustrie hierzulande profitiert, weil die USA mittlerweile in Deutschland kaufen.“
Insgesamt aber sei das Ganze ein Nullsummenspiel: „Hier gewinnt man etwas, dort verliert man wieder.“ Eine Lösung hat auch Jörg Wuttke noch nicht gefunden. Zu schnelllebig sei dieses ganze „Spiel“ geworden. Sein eigenes Unternehmen hat erst Anfang des Jahres eine Rahmenvereinbarung über ein riesiges Investitionspaket für China unterzeichnet: Zehn Milliarden US Dollar will die BASF in einen neuen Verbundstandort in der südchinesischen Provinz Guangdong investieren.
Das Besondere: Die BASF darf erstmals ohne Joint-Venture-Partner ein Großprojekt in China umsetzen. „Zeichen für eine weitere Öffnung in China?“, fragt die Moderatorin. China gewinne durch einen angesehenen Partner wie den weltgrößten Chemiekonzern an internationalem Prestige und könne in Zeiten seines weiter rasant wachsenden Bedarfs an chemischen Produkten die Lieferketten im Land halten, sagt Wuttke und ergänzt: „Wir haben hier einfach schneller als Kollegen realisiert, welche Veränderungen es beim Thema Marktzugang in China gerade gibt“.
Ohnehin dürfe man China nicht als einheitliches Land sehen, wenn es ums wirtschaftliche Geschäft geht. „China ist so vielfältig wie ein Kontinent“, meint der BASF-China Geschäftsführer. Vom Thema Belt and Road Initiative (BRI) scheint er deshalb auch etwas gelangweilt, aber seine Augen leuchten, wenn er von Chinas boomenden Städten im Süden des Landes wie Shenzhen oder Guangzhou spricht. Wuttke ist begeistert davon, wie viel Neues dort in den letzten Jahren entstanden ist. Dabei ist er persönlich eher ein „old-school guy“. WhatsApp hat er bis heute nicht heruntergeladen, WeChat nutzt er erst seit drei Wochen und zum Bezahlen nimmt er maximal seine Kreditkarte. Alipay ist nicht auf dem Smartphone installiert. Dafür aber Facebook. Und da ist er auch regelmäßig online. Was er über den Abend postet, wird er am Ende gefragt. „Jetzt bin ich bin kaputt“, antwortet er. Also doch: Selbst ein Jörg Wuttke ist irgendwann erschöpft.
Veranstaltungsbericht von Mario Büscher
Einen Mitschnitt der Veranstaltung können Sie hier nachhören (auf Englisch):